Wie Hunde eingesetzt werden, hat Einfluss darauf, wie sie behandelt werden
Daten aus 124 Gesellschaften zeigen, dass die Funktionen von Hunden vorhersagen, wie diese behandelt werden - dabei werden engere Bindungen in Gesellschaften geknüpft, in denen Hunde mehrere Funktionen haben.
Die Untersuchung der kognitiven Fähigkeiten von Hunden führt oft zu Überraschungen. So konnten Forschungen zeigen, dass Hunde mentale Repräsentationen von Dingen anhand des Geruchs erstellen. Auch können Hunde unterscheiden, ob das Verhalten der Besitzer beabsichtigt oder versehentlich geschieht. Nichtsdestotrotz leidet die Erforschung der kognitiven Fähigkeiten von Hunden unter den gleichen Vorurteilen wie die allgemeine Psychologie: in beiden Bereichen werden Studien hauptsächlich in WEIRD (westlichen, gebildeten, industrialisierten, wohlhabenden, demokratischen) Gesellschaften durchgeführt.
Obwohl fast alles, was wir über Hund-Mensch-Bindungen, das Hundeverhalten und die Wahrnehmung von Hunden wissen, aus WEIRD-Gesellschaften stammt, lebt die Mehrheit der Hunde weltweit außerhalb dieser Bedingungen. Um dieser Verzerrung entgegenzuwirken und ein besseres Verständnis der Beziehungen zwischen Hund und Mensch in Gesellschaften auf der ganzen Welt zu gewinnen, haben Forschende des Max-Planck-Instituts für Geoanthropologie (MPI-GEA) und des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie (MPI-EVA) Daten über die Funktionen und die Behandlung von Hunden in 124 global verteilten Gesellschaften ausgewertet.
Die Forschenden fanden heraus, dass die Funktionen von Hunden in allen Gesellschaften ein guter Indikator dafür sind, wie sie von ihren Besitzer:innen behandelt werden. Analysen ergaben, dass die Beziehung zwischen Hund und Mensch umso enger ist, je mehr Funktionen Hunde in einer Gesellschaft haben, wie z. B. das Bewachen, Hüten oder das Jagen.
Für die Studie überprüfte das Forschungsteam ethnografische Daten aus der kulturübergreifenden eHRAF-Datenbank und identifizierte Gesellschaften, in denen Hunde eine der folgenden Hauptfunktionen erfüllen: Jagen, Verteidigen, Hüten und Bewachen von Herden sowie das Tragen und Transportieren von Gütern. Anschließend sammelten sie Daten darüber, wie Hunde in diesen Gesellschaften behandelt werden, und kodierten sie in drei Dimensionen: positive Behandlung (z.B. Hunde dürfen ins Haus, Hunde erhalten medizinische Versorgung, Welpen werden aufgezogen), negative Behandlung (z.B. Hunde werden nicht gefüttert, Hunde werden körperlich misshandelt, Hunde werden regelmäßig gekeult), und die Vermenschlichung (z.B. Hunde bekommen Namen, Hunde werden begraben und/oder betrauert, Hunde werden als Familienmitglied betrachtet). Dr. Angela Chira vom MPI-EVA sagt: „Es ist wahrscheinlich, dass wir mit der Erweiterung der Aufgaben von Hunden über ihre ursprüngliche Rolle des Jagens und Bewachens hinaus auch unsere Einstellung änderten und begannen, unseren Hunden mehr Aufmerksamkeit zu schenken und sie wie Gefährten zu behandeln."
Durch die Analyse des Zusammenhangs zwischen Hundefunktionen und deren Behandlung zeigten die Forschenden, dass die Anzahl der Funktionen positiv mit guter Fürsorge und Vermenschlichung und negativ mit schlechter Behandlung einhergeht. Sie fanden jedoch auch heraus, dass nicht alle Aufgaben eines Hundes die Behandlung gleichermaßen beeinflussen. So erhöht beispielsweise das Hüten eine besonders positive Behandlung, während das Jagen weder positive noch negative Auswirkungen hat, aber die Wahrscheinlichkeit von Vermenschlichung erhöht. Demnach, neigen in Gesellschaften in denen Hunde für das Jagen gehalten werden, Menschen eher dazu ihren Hunden Namen zu geben und sie als Familienmitglieder zu betrachten.
Zusätzlich zeigt die Studie, dass sich eine negative Behandlung und eine positive Fürsorge nicht gegenseitig ausschließen. Von 77 Gesellschaften, für die Daten zu allen drei Dimensionen der Hundebehandlung vorlagen, wiesen 32 Gesellschaften sowohl eine positive als auch eine negative Behandlung auf. Dies deutet darauf hin, dass die Hund-Mensch-Beziehung nicht so einfach oder unkompliziert ist wie die Redewendung „der beste Freund des Menschen“ vermuten lässt, sondern ein komplexes Gleichgewicht zwischen angebotener Fürsorge und Kostenminimierung erfordert.
„Unsere Studie liefert einen systematischen Test zur Erklärung der kulturellen Triebkräfte, die die Vielfalt von Hund-Mensch-Beziehungen weltweit prägen“, sagt Juliane Bräuer vom MPI-GEA. „Dies ist ein erster Schritt, um zu verstehen, ob kognitive und soziale Fähigkeiten, die mit Hunden assoziiert werden, universell sind oder von kulturellen Umgebungen in denen die Hunde leben, beeinflusst werden.“
Die Wissenschaftler:innen hoffen, dass zukünftige Studien zu einem besseren Verständnis der Geschichte der Zusammenarbeit von Hund und Mensch führen werden. Während etwa die Hälfte der Gesellschaften weltweit Hunde nur für einen einzigen Zweck hält, nutzt die andere Hälfte sie auf unterschiedliche Weise. Warum begannen einige Gesellschaften, Hunde für mehrere Zwecke einzusetzen? Brachte ein solcher Einsatz beträchtliche Vorteile mit sich? Und wenn ja, welche waren es? Die Beantwortung dieser Fragen wird neue Details darüber offenbaren, wie Hunde und Menschen sich im Laufe unserer gemeinsamen Geschichte gegenseitig beeinflusst haben.