Soziale Interaktionen deuten: Menschen haben Schwierigkeiten, Aggressionen bei Hunden und anderen Menschen zu erkennen
Forscher*innen ermitteln anhand von Videos, wie gut Menschen soziale Interaktionen von Menschen und Tieren beurteilen können
Der Mensch beurteilt ständig Signale, um soziale Situationen zu bewerten und Prognosen darüber abzugeben, was als Nächstes passieren könnte. Die Fähigkeit zu erkennen, ob ein anderer Mensch oder ein Tier mit uns zufrieden ist, aggressiv wird oder uns überhaupt Aufmerksamkeit schenkt, kann große evolutionäre Vorteile haben.
Eine aktuell in PLOS ONE veröffentlichte Studie untersuchte nun diese Fähigkeit. Forscherinnen des HundeStudien-Forschungsteams am Max-Planck-Institut für Geoanthropologie (MPI-GEA) konnten zusammen mit Kolleg*innen, des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin und der Universität Leipzig zeigen, dass Menschen zwar überdurchschnittlich gut in der Lage sind, Interaktionen zwischen Menschen, Hunden und Affen einzuschätzen. Allerdings haben wir Schwierigkeiten, aggressives Verhalten sowohl bei Hunden als auch bei Menschen vorherzusagen.
Um herauszufinden, wie gut wir soziale Situationen einschätzen können, zeigten die Forschenden 92 Teilnehmer*innen 27 Videoclips über jeweils eine non-verbale Interaktion zwischen zwei Kindern, zwei Hunden sowie zwei Makaken. Die Teilnehmer*innen wurden in zwei Gruppen eingeteilt, wobei eine Gruppe die Interaktionen als spielerisch, neutral oder aggressiv einstufen sollte und die andere Gruppe das Ergebnis jeder Interaktion vorhersagen sollte.
Die Teilnehmer*innen kategorisierten die meisten Interaktionen richtig – und damit über Zufallsniveau – und sagten bei 50 bis 80 Prozent der Interaktionen das Ergebnis richtig voraus. Ob sie richtig lagen, hing allerdings auch von der Tierart und dem sozialen Kontext der Interaktion ab.
Interessanterweise und im Gegensatz zu den Hypothesen der Forschungsgruppe konnten die Teilnehmer*innen menschliche Interaktionen nicht besser beurteilen als die von anderen Arten. Darüber hinaus schnitten sie besonders schlecht bei aggressiven Interaktionen von Hunden und Menschen ab.
Aggressionen frühzeitig erkennen zu können, kann jedoch helfen, Verletzungen zu vermeiden oder im Ernstfall sogar über Leben und Tod entscheiden. Die Forscher*innen erwarteten deshalb, dass die Teilnehmer*innen in diesem Bereich die besten Ergebnisse erzielen würden. Allerdings zeigt die aktuelle Studie, dass diese Bewertungen schwieriger für Menschen sind als angenommen.
„Möglicherweise sind wir voreingenommen und gehen von den guten Absichten anderer Menschen und dem ‚besten Freund des Menschen‘ aus”, sagt Theresa Epperlein, Erstautorin der neuen Studie. „Vielleicht hindert uns diese Voreingenommenheit daran, aggressive Situationen bei diesen Arten zu erkennen.“
„Unsere Ergebnisse zeigen eindrücklich, dass soziale Interaktionen oft ambivalent sein können,“ fügt Juliane Bräuer, Leiterin der HundeStudien am MPI-GEA hinzu. „Sie weisen darauf hin, dass das Vorhersagen sozialer Interaktionen wichtiger sein könnte als die Einteilung der Situation in spielerisch, neutral oder aggressiv,“ so Bräuer.
Während die aktuelle Studie zeigt, wie gut Menschen soziale Situationen interpretieren, ergeben sich daraus neue Fragen. Wie kommt es zu unseren Einschätzungen? Und lassen sich diese durch Training verbessern? Um solche Fragen zu beantworten, werden jedoch noch weitere Studien benötigt. So müsste erforscht werden, auf welche Hinweise sich Menschen während der Beobachtung von Interaktionen verlassen, z.B. Vokalisierungen, Gesichtsausdrücke oder Körpersprache und wie unterschiedliche Arten diese einsetzen.