Zehntausend Jahre Hepatitis-B-Virus Evolution
Auf den Spuren der Evolution des Hepatitis-B-Virus von der Vorgeschichte bis in die Gegenwart enthüllt eine neue Studie die Ausbreitungsrouten sowie die Veränderungen der Virusvielfalt.
In einer in Science veröffentlichten Studie, untersuchen Forschende die Evolution des Hepatitis-B-Virus seit dem frühen Holozän, indem sie den bislang größten Datensatz von historischen Virusgenomen analysieren.
Mit jährlich über einer Million Todesfällen, zählt das Hepatitis-B-Virus (HBV) zu den größten medizinischen und klinischen Herausforderungen weltweit. Jüngste Untersuchungen historischer DNA ergaben, dass HBV bereits seit Jahrtausenden den Menschen infiziert. Dennoch ist bislang wenig über seine historische Diversität und Verbreitungswege bekannt. Eine neue Studie, durchgeführt von einem internationalen Forschungsteam, liefert nun wichtige Einblicke in die Entwicklungsgeschichte von HBV. Das Team untersuchte die Virusgenome von 137 bis zu 10.500 Jahre alten Individuen aus Eurasien und Amerika. Ihre Ergebnisse beleuchten die Ausbreitungsrouten des Virus und wichtige Veränderungen der Virusvielfalt. Die Ergebnisse spiegeln eindrücklich menschliche Migrationen und demographische Ereignisse wider und enthüllen bisher unerwartete Verbindungen zu unserer Gegenwart.
HBV und die Bevölkerung Amerikas
Die heutigen HBV-Stämme werden in neun Genotypen unterteilt, zwei davon finden sich vorwiegend in Populationen indigenen amerikanischen Ursprungs. Den Wissenschaftlern gelang es, eindeutige Hinweise dafür zu finden, dass diese beiden Stämme von einer HBV-Linie abstammen, welche gegen Ende des Pleistozäns divergierte und von den ersten Bewohnern Amerikas weitergetragen wurde.
„Unsere Daten legen nahe, dass alle uns bekannten HBV-Genotypen von einem Stamm abstammen, der die Vorfahren der Ureinwohner Amerikas und ihrer engsten eurasischen Verwandten zu einer Zeit infizierte, als sich diese Populationen auseinanderentwickelten“, so Denise Kühnert, Leiterin der tide-Forschungsgruppe.
HBV im prähistorischen Europa
Dem Team gelang es ebenfalls zu zeigen, dass das Virus bereits vor 10.000 Jahren in weiten Teilen Europas existierte – noch bevor sich die Landwirtschaft auf dem Kontinent ausbreitete.
„Von den meisten menschlichen Pathogenen wird angenommen, dass diese sich erst mit dem Beginn des Ackerbaus entwickelten. HBV infizierte hingegen bereits die Jäger und Sammler“, so Johannes Krause, Direktor der Abteilung für Archäogenetik am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.
Mit dem Ende der neolithischen Revolution in Europa wurden die alten HBV-Stämme durch neue ersetzt, die wahrscheinlich durch die ersten Bauern des Kontinents weiterverbreitet wurden. Eine Entwicklung, die die einschneidenden genetischen Veränderungen, die mit der Expansion von Gruppen aus Ackerbauern und Viehzüchtern einhergingen, widerspiegelt. Für die nächsten 4000 Jahre dominierten diese Linien in Westeurasien. Diese Dominanz wurde weiter durch die Ausbreitung von westlichen Steppenhirten vor ca. 5000 Jahren aufrechterhalten, die zu starken Einschnitten in das genetische Profil der Europäer führte, jedoch überraschenderweise nicht mit der Verbreitung neuer HBV-Varianten einherging.
Kollaps und Wiederauftauchen des prähistorischen HBV
Eines der überraschendsten Ergebnisse der Studie ist der plötzliche Rückgang der HBV-Vielfalt in Westeurasien vor etwa 3000 Jahren – eine Zeit, die besonders von kulturellen Veränderungen geprägt war, darunter der Kollaps von großen bronzezeitlichen Gesellschaften im östlichen Mittelmeerraum.
„Das könnte auf wichtige Veränderungen der epidemiologischen Dynamik in dieser großen Region hindeuten. Jedoch benötigen wir weitere Untersuchungen, um dies vollständig zu verstehen“, so Arthur Kocher, Hauptautor und Mitglied der tide-Gruppe.
Sämtliche historische HBV-Stämme, die in Westeurasien nach dieser Periode rekonstruiert wurden, gehörten zu neuen Virusstämmen, welche bis heute vorrangig in der Region vorkommen. Eine Variante scheint jedoch bis heute weiterhin zu existieren. Diese prähistorische Variante entwickelte sich in den seltenen Genotyp G, der anscheinend erst kürzlich während der HIV-Pandemie wieder auftauchte. Die Gründe dafür verbleiben jedoch vorerst im Dunkeln.