Wo sind die Migranten des ersten internationalen Zeitalters?
Mithilfe von Gen- und Isotopendaten untersuchten ForscherInnen die menschliche Mobilität in der bronzezeitlichen Stadt Alalakh in der heutigen Türkei.
Die Bronzezeit im östlichen Mittelmeerraum gilt unter Forschern als das erste „internationale“ Zeitalter. Dies trifft insbesondere auf die Zeit zwischen 1600-1200 v. Chr. zu, als große Reiche aus Anatolien, Mesopotamien, und Ägypten Netzwerke aus Vasallenstaaten im Vorderen Orient errichteten. Diese frühen Staaten führten Kriege gegeneinander, und handelten und korrespondierten miteinander. Die historischen Quellen belegen weitreichende ökonomische und soziale Netzwerke, die den Fluss von Gütern und Menschen über große Distanzen hinweg ermöglichten.
In einer neuen Studie, die in PLOS ONE veröffentlicht wurde, untersuchte ein interdisziplinäres Team aus Archäologen, Genetikern und Isotopenforschern die Wanderungen von Menschen während dieser Zeitspanne an einem einzelnen Fundort, der bronzezeitlichen Stadt Alalakh, die sich in der südöstlichen Türkei befindet. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Mehrheit der untersuchten Individuen aus den Gräbern auch in Alalakh aufgewachsen sind und ihre Vorfahren aus der Region stammten.
Ziel des Teams war es, zu untersuchen, ob sich das hohe Maß an interregionalen Kontakten, das die historischen Texte, die Architektur und die Artefakte vermuten lassen, auch in der Bevölkerungsstruktur in Form von hohen Zahlen von Migranten nachweisen lässt. Alalakh bot sich als perfekter Fundort für eine solche Studie an, da die Stadt seit 20 Jahren großflächig ausgegraben wird. Finanziert werden diese Ausgrabungen zu großen Teilen durch das türkische Ministerium für Kultur und Tourismus sowie die Hatay-Mustafa-Kemal-Universität.
Die ForscherInnen führten Strontium- und Sauerstoffisotopenanalysen an Zahnschmelz durch, mit deren Hilfe bestimmt werden kann, ob ein Individuum in Alalakh aufwuchs oder erst im Erwachsenenalter zuzog. Die genetischen Daten erlauben eine Herkunftsbestimmung der näheren Vorfahren eines Individuums.
Mehrere ortsfremde Individuen konnten durch die Isotopenanalyse identifiziert werden. Jedoch zeigte die DNA derselben Individuen, dass ihre Vorfahren aus Alalakh und benachbarten Regionen stammten. „Dafür gibt es eigentlich nur zwei mögliche Erklärungen: entweder handelte es sich um Menschen, die aus geringer Entfernung nach Alalakh einwanderten, oder um Rückkehrer. Das heißt Menschen, deren Eltern oder Großeltern ursprünglich aus Alalakh stammten, jedoch von hier wegzogen. Die Kinder kamen dann später zurück nach Alalakh“, so Koautorin Stefanie Eisenmann vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte.
Lediglich eine erwachsene Frau war nicht Teil des lokalen Genpools, sondern zeigte eine Abstammung, die größte Ähnlichkeit mit Individuen aus Mittelasien aufwies. Ihre Isotopenwerte deuteten jedoch darauf hin, dass sie in Alalakh aufwuchs. „Wir hatten erwartet, dass auch die Isotopenanalyse ergeben würde, dass diese Frau nach Alalakh immigrierte, da ihre genetischen Daten sich so stark von denen der restlichen Einwohner absetzten. Daher waren wir überrascht zu sehen, dass sie ihre Kindheit vermutlich in Alalakh verbrachte. Es könnte sein, dass es ihre Eltern oder bereits ihre Großeltern waren, die nach Alalakh auswanderten“, so Koautorin Tara Ingman von der Universität Koç.
Obwohl unterschiedliche Arten von Mobilität, darunter Kurz- und Langstreckenmigration, identifiziert wurden, konnte das Team keine vollständig fremden Individuen nachweisen. Die meisten Menschen wurden in Alalakh geboren und wuchsen dort auf, und auch ihre Vorfahren stammten aus der Region.
„Dafür gibt es unterschiedliche Erklärungsansätze. Es ist möglich, dass deutlich weniger Migranten in Alalakh lebten, die von weit her kamen, als wir bisher angenommen hatten. Eine weitere Möglichkeit besteht darin, dass wir die entsprechenden Gräber noch nicht gefunden haben. Eventuell wurden die meisten Menschen, die aus weit entfernten Orten nach Alalakh migrierten, nicht dort beerdigt oder auf eine Weise bestattet, die wir heute nicht mehr nachverfolgen können“, so Murat Akar, Leiter der Ausgrabungen.