Erste menschliche Kultur überdauerte 20.000 Jahre länger als bislang bekannt
Bevölkerungsgruppen im äußersten Westen Afrikas nutzten bis vor 11.000 Jahren die frühesten Steinwerkzeug-Technologien unserer Art
Feldforschungen unter der Leitung von Dr. Eleanor Scerri, Leiterin der Pan-African Evolution Research Group am Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, und Dr. Khady Niang von der Universität Cheikh Anta Diop im Senegal haben die jüngste bekannte Verwendung des Mittelsteinzeit-Repertoires dokumentiert. Dieses Repertoire beinhaltet markante Steinabschlagmethoden zur Erzeugung von scharfen Abschlagkanten für die geeignete Gesteinsbrocken sorgfältig vorbereitet wurden und von denen einige zu „Schabern“ oder „Spitzen“ weiterverarbeitet wurden, Die Mehrzahl der afrikanischen Mittelsteinzeit-Funde ist zwischen 300.000 und 30.000 Jahren alt, jüngere Funde sind selten.
Lange Zeit ging man davon aus, dass diese Werkzeugtypen vor rund 30.000 Jahren durch ein völlig anderes, miniaturisiertes Werkzeugset ersetzt wurden, das besser für die diversifizierten Subsistenzstrategien und Mobilitätsmuster in Afrika geeignet war. In einem Artikel, der am 11. Januar in Scientific Reports erscheint, zeigt das Forschungsteam um Scerri jedoch, dass Jäger-Sammler-Gruppen im heutigen Senegal noch bis vor 11.000 Jahren die Technologien aus der Mittelsteinzeit nutzten. Dies widerspricht der lang gehegten Ansicht, dass die grundlegenden prähistorischen Kulturphasen der Menschheit klar voneinander getrennt und in einer allgemein gültigen Abfolge verliefen.
Das letzte “Eden”?
"Westafrika ist eine echte Grenze für Studien zur menschlichen Evolution - wir wissen kaum etwas darüber, was sich hier in der tiefen Vorgeschichte ereignete. Fast alles, was wir über die Ursprünge des Menschen wissen, wird aus Funden in kleinen Teilen des östlichen und südlichen Afrikas geschlossen", sagt Dr. Eleanor Scerri, Erstautorin der Studie.
Um diese Datenlücke zu schließen, stellten Scerri und Niang ein Forschungsprogramm zusammen. Das Programm verfolgt das Ziel, verschiedene Regionen des Senegal zu erkunden: von den Wüstenrändern Senegals bis zu seinen Wäldern und entlang verschiedener Abschnitte seiner großen Flusssysteme: dem Senegal und dem Gambia. Bei ihren Untersuchungen entdeckten sie in verschiedenen Gebieten mehrere mittelsteinzeitliche Fundstellen, alle mit erstaunlich jungen Daten.
"Diese Entdeckungen zeigen, wie wichtig es ist, den gesamten afrikanischen Kontinent zu untersuchen, wenn wir die tiefe menschliche Vergangenheit wirklich verstehen wollen", sagt Dr. Khady Niang. "Vor unserer Arbeit deuteten die Erkenntnisse aus dem restlichen Afrika darauf hin, dass die letzten Spuren der mittleren Steinzeit - und die Lebensweise, die sie widerspiegelt - vor 11.000 Jahren längst verschwunden waren."
Es ist nicht einfach zu erklären, warum in dieser Region Westafrikas eine so frühe Kultur wie die Mittelsteinzeit so lange erhalten blieb.
"Im Norden grenzt die Region an die Sahara“, erklärt Dr. Jimbob Blinkhorn, einer der Autoren der Studie. "Im Osten liegen die zentralafrikanischen Regenwälder, die in Zeiten von Dürre und Zergliederung oft von den westafrikanischen Regenwäldern abgeschnitten wurden. Selbst die Flusssysteme in Westafrika bilden eine in sich geschlossene und isolierte Gruppe."
"Es ist möglich, dass diese Region Afrikas weniger von den Extremen der wiederholten Zyklen klimatischen Wandels betroffen war", ergänzt Scerri. "Wenn dies der Fall war, könnten die relative Isolation und die Stabilität des Lebensraums dazu geführt haben, dass wenig Bedarf an radikalen Veränderungen in der Subsistenz bestand, was sich in der erfolgreichen Verwendung dieser traditionellen Werkzeugsätze widerspiegelt."
"Das Einzige, was wir mit Sicherheit wissen, ist, dass dieses Beharren nicht auf einer mangelnden Fähigkeit zur Entwicklung neuer Technologien beruhte. Diese Menschen waren intelligent. Sie waren in der Lage, geeignetes Gestein für die Herstellung ihrer Werkzeuge auszuwählen und die Landschaft, in der sie lebten, für ihren Lebensunterhalt zu nutzen", sagt Niang.
Ein ökologischer, biologischer und kultureller Flickenteppich
Die Ergebnisse unterstützen eine neue Sichtweise, die zunehmend Unterstützung findet. Danach lebten die menschlichen Populationen während des größten Teils der tiefen Vergangenheit relativ isoliert voneinander in kleinere Gruppen aufgeteilt und in unterschiedlichen Regionen.
Zu dieser Sichtweise und passt die Tatsache, dass in Westafrika der große kulturelle Wandel hin zu miniaturisierten Werkzeugen im Vergleich zum Rest des Kontinents ebenfalls extrem spät stattfand. Für eine relativ kurze Zeit lebten Populationen, die die Mittelsteinzeit-Technologien nutzten, neben anderen, die die später entwickelten miniaturisierten Werkzeugsätze nutzten, welche die "Späte Steinzeit" charakterisieren.
"Dies steht im Einklang mit genetischen Studien, die nahelegen, dass afrikanische Menschen in den letzten zehntausend Jahren in sehr unterteilten Populationen lebten", sagt Dr. Niang. "Wir sind uns nicht sicher, warum, aber abgesehen von der physischen Entfernung könnte es sein, dass es auch kulturelle Grenzen gab. Vielleicht lebten die Populationen, die diese unterschiedlichen materiellen Kulturen nutzten, auch in leicht unterschiedlichen ökologischen Nischen."
Vor etwa 15.000 Jahren gab es einen starken Anstieg der Luftfeuchtigkeit und des Waldwachstums in Zentral- und Westafrika, der vielleicht verschiedene Gebiete miteinander verband und Korridore für die Ausbreitung bot. Dies könnte das endgültige Aus für das erste und früheste kulturelle Repertoire der Menschheit bedeutet und eine neue Periode der genetischen und kulturellen Vermischung eingeleitet haben.
"Diese Befunde passen nicht in ein einfaches unilineares Modell des kulturellen Wandels zur 'Moderne'", erklärt Scerri. "Gruppen von Jägern und Sammlern, die in radikal unterschiedlichen technologischen Traditionen verwurzelt waren, bewohnten über Jahrtausende hinweg benachbarte Regionen Afrikas oder teilten sich diese Regionen vielleicht sogar. Lange isolierte Regionen hingegen könnten wichtige Reservoirs kultureller und genetischer Vielfalt gewesen sein", fügt sie hinzu. "Dies könnte ein entscheidender Faktor für den Erfolg unserer Spezies gewesen sein."