Getreide-, Oliven- und Weinpollen belegen Marktintegration im antiken Griechenland

Eine neue interdisziplinäre Studie weist auf die Integration der Agrarmärkte Jahrhunderte vor der römischen Eroberung hin und legt nahe, dass die Mechanismen, die zum Anthropozän führten, viel früher begannen als vermutet.

27. November 2020

Durch die Analyse von Sedimentkernen, die an sechs Standorten in Südgriechenland entnommen wurden, identifizierte ein internationales Forschungsteam Trends bei Getreide-, Oliven- und Weinpollen, die auf strukturelle Veränderungen in der landwirtschaftlichen Produktion zwischen 1000 v.u.Z. und 600 n.u.Z. hindeuten. In einer aktuellen Studie, die in Economic Journal erschienen ist, führt das Team verschiedene Zweige der wissenschaftlichen Forschung zusammen, um Belege für eine Marktwirtschaft im antiken Griechenland zu erbringen, die durch integrierte landwirtschaftliche Produktion und eine starke Ausweitung des Handels gekennzeichnet war.

Im Bereich der Wirtschaftswissenschaften gilt das Konzept der Marktwirtschaft weitgehend als modernes Phänomen. So argumentierten einflussreiche Ökonomen wie Karl Marx und Max Weber, dass es zwar schon in der Antike Märkte gab, sich aber erst im 19. Jahrhundert Volkswirtschaften entwickelten, in denen die Produktions- und Vertriebsstrukturen auf die Gesetze von Angebot und Nachfrage reagierten. Eine neuere Studie eines internationalen Forschungsteams, darunter Adam Izdebski vom Jenaer Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, verwendet die Palynologie, die Analyse von Pollen, um diese Annahme zu prüfen. Die Studie untersucht Pollenüberreste, die aus Sedimentkernen gewonnen wurden und liefert Beweise, dass bereits im antiken Griechenland eine integrierte Marktwirtschaft existierte.

Wirtschaftliche Integration begann früher als bislang angenommen

Unter Verwendung öffentlich zugänglicher Daten aus der Europäischen Pollendatenbank sowie von Daten anderer Forscher/-innen analysierte das Team 115 Proben aus Pollenprofilen, die an sechs Standorten in Südgriechenland entnommen und mithilfe der Radiokohlenstoffmethode (C14) datiert wurden, um Landschaftsveränderungen nachzuvollziehen. Das Team verfolgte die Veränderungen der prozentualen Anteile für einzelne Pflanzenarten für die Zeit zwischen 1000 v.u.Z. und 600 n.u.Z. Dabei beobachteten sie eine Abnahme der Pollen von Getreide, einem Grundbestandteil der Ernährung im antiken Griechenland, in einer Periode offensichtlichen Bevölkerungswachstums. Gleichzeitig stieg der Anteil an Oliven- und Weinpollen. Diese Tendenzen werfen eine wichtige Frage auf: Warum entschieden sich lokale Produzenten dafür, Oliven und Weinreben anstelle von Getreide anzupflanzen, wenn die Nachfrage nach diesem Grundnahrungsmittel hoch und steigend gewesen sein muss?

In der aktuellen Studie argumentieren die Wissenschaftler/-innen, dass die Pollen-Daten aus Südgriechenland auf eine Exportwirtschaft hinweisen, die bereits in der archaischen Zeit auf dem gewerblichen Anbau von Nutzpflanzen, insbesondere von Olivenbäumen, basierte. Obwohl archäologische Beweise aus diesen Perioden den Verkehr von Waren dokumentieren, sind quantifizierbare Daten zur Marktintegration und zu strukturellen Veränderungen in der landwirtschaftlichen Produktion sehr begrenzt. "Mit dieser Studie", erklärt Erstautor Adam Izdebski, "führen wir Pollenanalysen als neue Quelle quantitativer Daten in die Erforschung der antiken Wirtschaftsgeschichte ein".

Interdisziplinäre wissenschaftliche Ansätze offenbaren integrierte antike Wirtschaft

Bevor das Team zu seinen Schlussfolgerungen gelangte, verglich es die bei den Pollendaten beobachteten Trends mit Daten aus drei anderen Quellen und leistete damit wissenschaftliche Pionierarbeit.

Zum einen beobachteten die Wissenschaftler/-innen einen Rückgang von Pollen aus nicht kultivierten Landschaften, der mit jeder Zunahme der Siedlungszahlen korrespondierte. Dieser Zusammenhang zwischen der Anzahl der Siedlungen und der Ausbeutung des Landes unterstützt die Methodik der Studie und weist auf das Potenzial der Palynologie für zukünftige Studien in einer Vielzahl wissenschaftlicher Disziplinen hin.

Zweitens suchte das Team nach Belegen für eine verstärkte Handelsaktivität bei Schiffswracks im Mittelmeer, welche routinemäßig zur Schätzung des Seehandels und der gesamten Wirtschaftstätigkeit herangezogen werden. Nachdem sie ihre Suche auf Wracks aus dem entsprechenden Zeitraum und der entsprechenden Region beschränkt hatten, beobachteten die Wissenschaftler/-innen Trends bei Schiffswracks, die mit den Trends bei den Getreide-, Oliven- und Rebenpollen übereinstimmten. Beide Datenquellen deuten auf einen wirtschaftlichen Aufschwung im 1. und 2. Jahrhundert u. Z., einen Rückgang im 4. und 5. und einen kleineren Aufschwung im 6. Jahrhundert hin.

Schließlich untersuchten die Wissenschaftler/-innen die Trends bei der Präsenz von großen Öl- und Weinpressen im Mittelmeerraum. Das Vorhandensein dieser Maschinen, auch wenn sie nicht in Griechenland stehen, deutet auf ein Muster allgemeiner wirtschaftlicher Trends in der Region und sich verändernder Anreize für die Produktion großer Mengen Olivenöl und Wein hin. Auch hier stellte sich heraus, dass die Trends bei den archäologischen Funden von Öl- und Weinpressen mit den Trends bei Getreide-, Oliven- und Weinpollen übereinstimmen.

Im Allgemeinen ist man der Meinung, dass die Entstehung integrierter Märkte und kapitalistischer Volkswirtschaften der Frühen Neuzeit an den Wurzeln des Anthropozäns lag, d.h. der gegenwärtigen Epoche, in der die Menschheit zu einer bedeutenden geologischen Kraft geworden ist. Die aktuelle Studie zeigt jedoch, dass die strukturellen Entwicklungen, die in großem Maßstab durch die europäische Kolonialisierung ab dem 15. Jahrhundert stattfanden, bereits mehrere tausend Jahre vorher möglich waren.

 

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