Fehlende Fundstellen deuten auf zerstörerische Gewalt von Meeresspiegelschwankungen hin
An der Arabischen Küste haben Forschern entdeckt, dass Erosion durch Meeresspiegelschwankungen auch vor größeren Fundstellen nicht Halt macht. Dies betrifft vor allem Muschelhaufen, deren Bedeutung in früheren Studien über menschliche Ernährung unterschätzt wurde.
Archäologische Beweise für das Leben an früheren Küsten liegen vor allem in der Form von prähistorischem Muschelabfall vor, sogenannten Muschelhaufen. Muscheln sind an vielen Küsten der Welt anzutreffen, und wurden bereits schon vor 164.000 Jahren als Nahrungsmittel benutzt. In diesem Zeitraum hat sich der Meeresspiegel wiederholt stark verändert und die Küstenlinien haben sich dementsprechend über Kilometer hinweg bewegt. Die neue Studie, heute in PLOS ONE veröffentlicht, deckte auf, dass mit dieser Bewegung eine Zerstörung von Fundstellen einher ging, die bislang in vielen Studien nicht berücksichtigt worden sind. Die bisherigen Ergebnisse über die Bedeutung von Küstengebieten weltweit und deren Funktion als Nahrungsquelle in der Vergangenheit müssen nun neu überdacht werden.
Muschelschalen als Essensreste sind uns in archäologischen Kontexten bis vor 164.000 Jahren bekannt - aber viele sind nicht erhalten oder liegen unterhalb der Wasseroberfläche
In dieser Studie, hat ein internationales Forscherteam die genauen Mengen von Muscheln quantifizieren können, die einem bestimmten Muster folgen. Dieses Muster wurde zuerst von Betty Meehan in den 70ern beschrieben, einer australischen Archäologin und Anthropologin. Sie untersuchte neuzeitliche Menschengruppen, die an der Australischen Küste Muscheln als Nahrungsquelle sammelten und direkt am Strand ausnahmen um das endgültige Transportgewicht zu verringern, da sie die Muschelschalen selbst zurückließen. Nur ein kleiner Teil wurde ins Landesinnere getragen um im eigentlichen Wohnbereich verarbeitet zu werden. Die Theorie der Forscher war, dass sich diese Logik auch in der Urgeschichte vorweisen lassen sollte, und dass es aufgrund der Meeresspiegelschwankungen wahrscheinlich ist, dass dieser Großteil von Muschelschalen an heutigen Küsten nicht mehr aufzufinden ist, sondern nur der kleinere Anteil, der ins Landesinnere getragen wurde. Sollten andere Forscher nur diesen kleineren Teil in ihren Modellen berücksichtigen, wären diese natürlich fehlerhaft.
Mit Hilfe einer großen Ansammlung von über 3,000 Muschelhaufen auf den Farasan Islands im Roten Meer, haben die Forscher die zeitliche und räumliche Verbreitung der Fundstellen im Zusammenhang des sich ändernden Meeresspiegels untersucht. Eine Auswahl von Fundstellen wurde durch Radiokarbondatierung auf 7.500 bis 4.700 Jahre vor Heute datiert. In diesem Zeitraum hat sich der Meeresspiegel noch als Folge der letzten Eiszeit angehoben, dieser Zustand hielt bis vor bis 6.000 Jahren an. Zu jener Zeit war der Meeresspiegel im südlichen Roten Meer 2–3 m höher als in der heutigen und erst in den darauf folgenden 2.000 Jahren senkte er sich auf das aktuelle Niveau, mit Ausnahme der letzten Jahrzehnte, in denen wir wieder einen starken Anstieg vermerken.
Über diese Jahrtausende hinweg hatte sich die Nutzung von Muscheln als Nahrungsquelle wenig verändert. Die Geschwindigkeit mit der sich Muscheln am Strand und im Landesinneren anhäuften standen durchweg in einem Verhältnis von 10 zu 1, was der Theorie von Betty Meehan entspricht.
Allerdings sind trotz ihrer Größe keine der Muschelhaufen am Strand erhalten, die vor 6.000 Jahre vor Heute datiert sind, dem Zeitpunkt als der Meeresspiegel am höchsten war. Dies deutet auf eine große Menge von Fundstellen hin, die seit dem Beginn von Muscheln als Nahrungsquelle an Stränden vorzufinden waren.
Muschelschalen sind normalerweise sehr gut in Fundstellen erhalten, aber auch sie können nichts gegen den steigenden Meeresspiegel ausrichten und werden leicht weggeschwemmt.
„Wir wussten schon vorher, dass sich jede Fundstelle am Wasser in einer gefährlichen Lage befindet und benutzen oft Fundstellen, die über steilen Hängen oder einige hundert Meter vom Strand entfernt liegen, um die archäologische Nutzung von Muscheln zu untersuchen,“ erklärt Niklas Hausmann am Max Planck Institut für Menschheitsgeschichte. „Jetzt wissen wir aber, dass der Großteil der Muscheln gar nicht mehr da ist. Dadurch werden viele der bisherigen Theorien hinsichtlich des Anteils von Muscheln in der Nahrung von Menschen selbst in Küstennahen Gebieten stark erschüttert.“
„Mit unserer Studie haben wir gezeigt, dass wahrscheinlich sehr viel mehr Muscheln zu Zeiten von niedrigerem Meeresspiegeln gegessen wurden als wir bisher dachten, und dass wir mit der simplen Gleichung „keine Muscheln heißt kein Muschelfleisch“ nicht erfolgreich sein können.
Muscheln sind in der Regel in vielen Studien zur Ernährung sogar überrepräsentiert, da sich die Muschelschale im Vergleich zu Pflanzen und Knochen sehr gut erhält. Allerdings ist das Muschelfleisch für Archäologen unsichtbar und hätte überall gegessen werden können. Daher sind selbst untergegangene Muschelhaufen von Interesse, da sie die fehlenden Puzzle-Teile hierfür enthalten.