Neue Erkenntnisse zum Ursprung der sinotibetischen Sprachen

Eine phylogenetische Analyse der sinotibetischen Sprachfamilie, zu der Sprachen wie Chinesisch, Tibetisch und Burmesisch gehören, deutet darauf hin, dass sie vor etwa 7.200 Jahren in Nordchina entstanden ist und mit frühen neolithischen Kulturen wie der späten Cishan- und der frühen Yangshao-Kultur verbunden war.

6. Mai 2019

Die sinotibetische Sprachfamilie besteht aus über 400 Sprachen, die von mehr als 1.4 Milliarden Menschen weltweit gesprochen werden, darunter große Kultursprachen wie Chinesisch, Tibetisch, und Birmanisch. Doch trotz der großen Bedeutung dieser Sprachen für ein besseres Verständnis der südostasiatischen Vorgeschichte werden ihre Beziehungen und Ursprünge nach wie vor kontrovers diskutiert. Eine neue Studie eines internationalen Forschungsteams liefert nun Hinweise, dass der Ursprung der Sprachfamilie auf in Nordchina lebende Hirsebauern zurückgeht, die dort vor 7200 Jahren lebten.



Zur sinotibetischen Sprachfamilie gehören sehr früh verschriftliche Sprachen, wie Chinesisch, Tibetisch und Birmanisch, und sie umfasst mehr als 400 Sprachen, die in China, Indien, Birma, und Nepal gesprochen werden. Sie auch eine der variantenreichsten Sprachfamilien der Welt und mit 1.4 Milliarden Sprechern gehört sie zu den Sprachfamilien mit den meisten Sprechern. Doch obwohl die Sprachfamilie seit Anfang des 19 Jahrhunderts untersucht wurde, weiß man in der Forschung nach wie vor nur sehr wenig über sie. Eine interdisziplinäre, in PNAS veröffentlichte Studie, die von Wissenschaftlern des Centre des Recherches sur l’Asie Orientale (Paris), des Jenaer Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte, und des Centre de Recherches en Mathématiques de la Décision (Paris) geleitet wurde, wirft nun neues Licht auf den Ort und die Zeit der Entstehung dieser Sprachen. Aufgrund einer phylogenetischen Studie, die sowohl archaische als auch moderne sinotibetische Sprachen umfasst, kommt das Forschungsteam zu dem Ergebnis, dass die sinotibetischen Sprachen zuerst von Hirsebauern gesprochen wurden, die vor 7200 Jahren in Nordchina lebten.

In den letzten 10000 Jahren sind zwei der weltweit größten Sprachfamilien entstanden, eine im Westen und eine im Osten von Eurasien. Zusammen zählen fast 60 % der Weltbevölkerung zu den Sprechern dieser Sprachfamilien: Indogermanisch (mit 3.2 Milliarden Sprechern) und Sinotibetisch (mit 1.4 Milliarden Sprechern). Die sinotibetische Sprachfamilie besteht aus mehr als 400 Sprachen, die geografisch weit verbreitet sind, von der Westküste des Pazifiks bis nach Nepal, Indien und Pakistan. Sprecher dieser Sprachen spielten eine wichtige Rolle in der Menschheitsgeschichte, indem sie zur Entstehung früher Hochkulturen in China, Tibet, Birma und Nepal beitrugen. Während jedoch der Ursprung des Indogermanischen in Archäologie, Phylogenetik und Linguistik lebhaft diskutiert wird, wurde den sinotibetischen Sprachen bislang wenig Aufmerksamkeit gewidmet.

Eine der variantenreichsten Sprachfamilien der Welt

"Die sinotibetische Sprachfamilie ist eine der vielfältigsten der Welt. Sie verfügt über alle unterschiedlichen Typen der Morphologie, die von isolierenden bis hin zu polysynthetischen Systemen reichen", erklärt Guillaume Jacques vom Centre des Recherches sur l’Asie Oriental, einer der Erstautoren der Studie. "Obwohl wir nach und nach immer besser lernen, diese Sprachen zu vergleichen, verstehen wir weiterhin nur sehr wenig über wichtige Aspekte zur Entwicklung ihres Lautsystems und ihrer Grammatik."

Eine Datenbank von Basiswörtern aus 50 sinotibetischen Sprachen

Um Licht in die komplexe Geschichte der Sprachfamilie zu bringen, erstellten die Forscher eine lexikalische Datenbank bestehend aus Wörtern des Basisvokabulars von 50 sinotibetischen Sprachen. Diese Datenbank, die in dieser Form zum ersten Mal veröffentlicht wurde, enthält sowohl archaische Sprachen, die vor 1000 oder mehr Jahren gesprochen wurden, z.B. Altchinesisch, Altbirmanisch, oder Alttibetisch, als auch moderne Sprachen, die oftmals nur durch Feldforschung belegt sind.

"Um diese Sprachen transparent zu vergleichen, haben wir ein spezifisches Annotationssystem entwickelt, das es uns nicht nur erlaubt, zu zeigen, welche Worte einen gemeinsamen Ursprung haben, sondern auch, welche Laute in den Wörtern verwandt sind", sagt Studienleiter Johann-Mattis List vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte." Ein spezifisches Problem bei der Identifikation wirklich verwandter Wörter sind dabei die vielen Fälle, wo Sprachen Wörter untereinander entlehnen”, betont Guillaume Jacques.

Der evolutionäre Baum weist auf eine Entstehung der Familie vor 7200 Jahren hin

Mit Hilfe mächtiger computerbasierter phylogenetischer Methoden konnte das Team die wahrscheinlichsten Beziehungen zwischen diesen Sprachen berechnen, welche dann wieder verwendet wurden, um herauszufinden, wann diese Sprachen in der Vergangenheit entstanden sind. "Wir finden klare Hinweise auf sieben Hauptgruppen, mit einem komplexen Muster von teilweise überlappenden Signalen", sagt Simon J. Greenhill vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. "Unsere Berechnungen weisen darauf hin, dass die Sprachfamilie vor etwa 7200 Jahren entstanden ist."

Eine agrikulturelle Untersuchung wirft Licht auf den Ursprung und die Ausbreitung der Sprachfamilie

Um die evolutionären Wege der sinotibetischen Sprachen besser zu verstehen, schauten sich die Autoren spezifische verwandte Wörter für domestizierte Pflanzen an, da diese mitunter zeigen können, wie agrikulturelles Wissen in der Region verbreitet wurde. Diese Analyse verweist auf einen Ursprung der Sprachfamilie in nordchinesischen Gemeinschaften von Hirsebauern früher neolithischer Kulturen, entweder der späten Cishan- oder der frühen Yangshao-Kultur. "Gemäß dem wahrscheinlichsten Expansionsszenario spaltete sich die Familie zuerst in eine Ostgruppe, aus der dann die chinesischen Dialekte entstanden, und in eine Westgruppe, aus der die restlichen sinotibetischen Sprachen entstanden sind", erklärt Laurent Sagart vom Centre de Recherches Linguistiques sur l’Asie orientale, ebenfalls einer der Erstautoren der Studie und Leiter der agrikulturellen Analyse.

"Wir sind sehr zufrieden mit den Ergebnissen", sagt List. "Unser Ansatz kombiniert robuste, traditionelle Forschung mit neuesten Computermethoden im Rahmen eines computergestützten Ansatzes, der es uns erlaubt, unser Wissen in Bezug auf die heutigen Sprachen als Schlüssel zur Vergangenheit einzusetzen."

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