Neue Studie enthüllt Details der Geschichte Inner-Eurasiens
Die Gesamtschau von Ergebnissen aus Genetik, Archäologie, Geschichte und Sprachwissenschaft liefert neue Details zur Geschichte Inner-Eurasiens – einst eine kulturelle und genetische Brücke zwischen Europa und Asien
Ein internationales Forschungsteam hat archäologische, historische und linguistische Daten mit den genetischen Informationen von mehr als 700 neu analysierten Individuen kombiniert, um ein detaillierteres Bild der Geschichte des inneren Eurasiens zu erstellen. Dabei zeigte sich, dass die indigenen Bevölkerungsgruppen der Region genetisch, kulturell und sprachlich sehr unterschiedlich sind. Genetisch lassen sie sich jedoch drei Gradienten zuordnen, die geografisch von Ost nach West verlaufenden geografischen Zonen entsprechen. Die Studie erscheint am heutigen Montag in der Fachzeitschrift Nature Ecology & Evolution.
Inner-Eurasien umfasst die Gebiete der heutigen Staaten Armenien, Georgien, Kasachstan, Moldawien, Mongolei, Russland, Tadschikistan, Ukraine und Usbekistan und war einst ein wichtiger Knotenpunkt zwischen Asien und Europa, an dem sich in der Vorgeschichte sowie in historischen Perioden, einschließlich der Ära der berühmten Seidenstraße, der Austausch von Kultur, Handelswaren und Genen vollzog.
Dieses riesige Gebiet kann auch in unterschiedliche ökologische Regionen gegliedert werden, die sich in ost-westlicher Richtung erstrecken. Diese Regionen bestehen aus den Wüsten im Süden, der Steppe im mittleren Teil, der Taiga weiter nördlich und der Tundra in Richtung der Arktis. Die Lebens- und Wirtschaftsweisen der indigenen Gruppen dieser Regionen korrelieren weitgehend mit den ökologischen Zonen, wie z. B. Rentierzucht und Jagd in der Tundra oder nomadische Herdenviehhaltung in der Steppe.
Trotz der langen und bedeutenden Geschichte Inner-Eurasiens sind Details über frühe Migrationen und Interaktionen zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen, besonders in der Vorgeschichte, wenig bekannt. "Das Gebiet Inner-Eurasien ist perfekt, um den Zusammenhang zwischen Umweltbedingungen und den Mustern menschlicher Migration und Vermischung, sowie die Veränderungen durch kulturelle Innovationen, wie z.B. die Einführung der Milchweidewirtschaft in der Steppe, zu untersuchen", sagt Choongwon Jeong vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte, Erstautor der Studie. Um weitere Nuancen der regionalen Geschichte zu klären, hat ein internationales Forschungsteam ein ehrgeiziges Projekt gestartet, und sowohl DNA von heutigen als auch prähistorischen Gruppen eines breiten geografischen und zeitlichen Spektrums untersucht und diese genetischen Daten mit archäologischen, sprachlichen und historischen Informationen verbunden. "Einige ethnische Gruppen wurden bereits früher genetisch analysiert", ergänzt Oleg Balanovsky, ebenfalls Erstautor der Studie, vom Wavilov-Institut für Allgemeine Genetik in Moskau, "aber wir haben mehr als einhundert Exkursionen unternommen, um diese riesige Region systematisch zu untersuchen, und wir haben Gemeinschaften von Sprechern fast aller inner- eurasischen Sprachen erreicht."
Drei unterschiedliche Ost-West-Gruppierungen
Für die Studie analysierte das Team einen neuen DNA-Datensatz von 763 Individuen aus der gesamten Region sowie genomweite Daten von zwei Individuen der Botai-Kultur, die vor rund 5400 Jahren gelebt hatten, und verglichen diese mit publizierten Daten. Als Ergebnis zeigten sich drei unterschiedliche genetische Gradienten, die geografisch in von Ost nach West verlaufen und im Allgemeinen mit den ökologischen Zonen korrelieren. Die Populationen teilen dabei jeweils eine Kombination genetischer Komponenten, deren Anteile entlang dieser Gradienten variieren.
Die nördlichste Gruppe, die das Forschungsteam "Wald-Tundra" nennt, umfasst Russen, alle Sprecher uralischer Sprachen, darunter Ungarisch, Finnisch und Estnisch, und Individuen Jenisseischer Sprachengruppen, von denen heute nur noch eine in Zentralsibirien gesprochen wird. Die mittlere Gruppe wird als "Waldsteppe" bezeichnet und beinhaltet türkisch- und mongolisch-sprachige Populationen des Wolga-Gebiets und der Region um das Altai- und Sayangebirge, nahe dem Schnittpunkt von Russland, China, der Mongolei und Kasachstan. Die südlichste Gruppierung, die "Südsteppe", umfasst den Rest der weiter südlich ansässigen türkisch- und mongolischsprachigen Bevölkerungen wie z.B. Kasachen, Kirgisen und Usbeken sowie indo-europäisch-sprachige Tadschiken.
Hinweise auf bisher unbekannte Bevölkerungsbewegung
Da die Studie einen langen Zeitraum abdeckt, kann sie Häufigkeitsverschiebungen in den Herkunftskomponenten aufdecken, die auf bisher unbekannte Interaktionen in der Vergangenheit hinweisen. So fand das Forschungsteam beispielsweise heraus, dass die Südsteppen-Populationen eine größere genetische Komponente aus West- und Südasien aufweisen als die beiden anderen Gruppierungen. Alte DNA Daten zeigen, dass diese Komponente seit etwa 2500 Jahren auch in den früheren Populationen der Region weit verbreitet, aber zuvor in Zentral-Kasachstan nicht zu finden war. Dies deutet auf eine bisher unbekannte Expansion aus der Südsteppen-Region in die Waldsteppen-Region hin.
"Seit dem ersten Auftreten moderner Menschen in dieser Region hat Inner-Eurasien hat als Brücke für menschliche Migration und kulturellen Austausch fungiert. Infolgedessen beobachten wir einen weit zurückreichenden genetischen Austausch zwischen den west- und osteurasischen Bevölkerungs-gruppen, der sich in mehreren Zeitstufen niederschlägt", erklärt Jeong. "Die Tatsache, dass wir direkte Belege für die solche verborgenen genetischer Beimischungen finden können, die aus heutigen Bevölkerungen oft schwer abzuleiten sind, macht unsere Arbeit sehr spannend."
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler betonen zudem, dass ihr Modell mit drei genetischen Gruppierungen nicht alle bekannten Populationen vollständig erfasst und dass es immer auch Beispiele für Ausreißer und Zwischengruppen gibt. "Wir wollen gleich eine Nachfolge-Studie organisieren, um die dünn besiedelten Gebieten zwischen den drei Ost-West-Gradienten, sowie auch Mittel-Kasachstan oder Ostsibirien zu erfassen", sagt Studienleiter Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte.