Deutsch-britische Forschungsteams untersuchen gemeinsam die Auswirkungen von Klimawandel und Ressourcenstress auf arktische Ökosysteme
Das britische Natural Environment Research Council (NERC) und das deutsche Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) haben gemeinsam etwa 9.000.000 Euro in 12 neue Projekte investiert, um wichtige Forschungsarbeit in einer der unwirtlichsten Regionen der Erde zu ermöglichen. Die neuen Projekte starten Anfang Juli und schließen sich dem bestehenden Forschungsprogramm "Changing Arctic Ocean" an. Patrick Roberts vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte leitet mit seinem Kollegen Norman Ratcliffe von British Antarctic Survey eines dieser 12 Projekte, LOMVIA. LOMVIA nutzt biochemische und ökologische Studien heimischer und invasiver arktischer Seevögel, um die lokalen Auswirkungen des Klimawandels und der Ressourcenknappheit auf die Artenzusammensetzung und den Wettbewerb in diesem zunehmend veränderten Umfeld zu untersuchen.
Der Klimawandel führt zu offensichtlichen und gravierenden Veränderungen in den Polarregionen. Die Arktis erwärmt sich derzeit mehr als doppelt so schnell wie andere Teile der Erde, was zu einer beispiellosen Veränderung der Meeresumwelt der Region führt. Das Ökosystem des Arktischen Ozeans ist wegen seiner Abhängigkeit vom Meereis besonders empfindlich gegenüber einer solchen Erwärmung, wie etwa die Algen, die an seiner Unterseite wachsen, bis hin zu großen räuberischen Säugetieren, die auf seiner Oberfläche jagen und leben.
Die Auswirkungen dieser Veränderungen auf die arktischen Meerestiere sind nicht nur physikalischer Natur, wie die Erwärmung der Ozeane und das Abschmelzen des Meereseises, sondern auch ökologischer Natur, da sie die Lebensräume und die Ressourcenverfügbarkeit verändern. Dies beeinflusst auch das Zusammenleben und die Interaktion der Arten untereinander. Insbesondere können sich bei steigenden Temperaturen Arten aus den gemäßigten Zonen weiter nach Norden ausbreiten, wodurch sie zunehmend in Kontakt mit arktischen Spezies kommen. Den Neuankömmlingen könnten die arktischen Arten als Beutetiere dienen oder sie könnten diese im Kampf um Nahrung oder Brutplätze ausstechen. Das könnte zu einem noch schnelleren Rückgang der arktischen Arten führen, als wenn nur der Klimawandel allein das Ökosystem beeinflussen würde.
„Während viele von uns um die eklatanten Auswirkungen des Klimawandels auf große, wandernde Arten wie Eisbären und Wale in der Arktis wissen, sind uns die Veränderungen in den ökologischen Netzen kleinerer, aber nicht weniger wichtiger Meerestiere in diesen sich wandelnden Umgebungen oftmals weniger bewusst“, sagt Co-Projektleiter Patrick Roberts vom Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte . Das Projekt LOMVIA* möchte dem entgegenwirken, indem es die Auswirkungen des Klimawandels auf den Wettbewerb zwischen zwei eng verwandten Seevogelarten in Island untersucht. *(Linking Oceanography and Multi-specific, spatially-Variable Interactions of seabirds and their prey in the Arctic)
Dr. Norman Ratcliffe, der britische Leiter des Projekts beim British Antarctic Survey, erklärt: „Trottellummen gehören zu den ikonischeren Seevogelarten, die von vielen mit der Arktis in Verbindung gebracht werden. Doch nur wenige Menschen wissen, dass der Klimawandel echte arktische Trottellummen, wie die Dickschnabellumme, in immer engeren Kontakt mit der gemeinen Trottellumme bringt. Diese Art ist in gemäßigteren Zonen heimisch, wie zum Beispiel auf Klippen rund um das Vereinigte Königreich und die deutsche Insel Helgoland“.
Das LOMVIA Projekt wird die Futterökologie dieser Vögel an der isländischen Küste untersuchen. Wie Ratcliffe weiter ausführt, stellt „Island eine Art Miniatur-Arktis dar, da es im Zentrum einer Reihe komplexer Strömungen liegt, darunter eisiges arktisches Wasser aus Grönland, warmes Wasser aus dem Atlantik und subarktisches Wasser aus Norwegen“. Gemeinsam beeinflussen diese Strömungen die gesamte arktische Meeresumwelt, was bedeutet, dass die Untersuchung dieser beiden Arten in Island einen detaillierten Einblick in die sich ändernde Ressourcennutzung und in ökologische Zusammenhänge ermöglicht, deren Ergebnisse auf die gesamte Region abgeleitet werden können.
Dr. Thomas Larsen, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei LOMVIA, erklärt, wie die Daten gesammelt werden. „Unsere Studie wird mit Hilfe von Miniatur-Ortungsgeräten untersuchen, wo diese Vögel nach Futter suchen. Eine biochemische Analyse wird es uns ermöglichen, herauszufinden, was sie dort fressen.“ Für die Analyse werden die Vögel eingefangen und es wird ihnen etwas Blut entnommen. „Zusammen mit den Koloniezählungen isländischer Partner“, fährt Larsen fort, „wollen wir herausfinden, wie sich Trends und Verbreitung auf die Verfügbarkeit von Lebensräumen auswirken“. Innovative Ansätze wie die chemische Analyse einzelner Zusammensetzungen im Gewebe von Vögeln werden möglicherweise einen großen Fortschritt in der Erforschung der heutigen arktischen Ökosysteme darstellen.
Roberts bemerkt abschließend: „Der Klimawandel ist oft ein flüchtiger Begriff, dessen Folgen für viele Menschen oft schwer zu erkennen oder zu verstehen sind, vor allem jenseits offensichtlicher Beispiele wie dem Schmelzen des Meereises. Dieses Projekt soll es uns ermöglichen, einen detaillierteren Einblick in die greifbaren Auswirkungen des vom Menschen verursachten Klimawandels auf die Ernährung und die Wechselwirkungen von Arten zu gewinnen, die wir von unseren Fernsehbildschirmen kennen“.
Hintergrund:
Dieses Projekt ist Teil einer umfassenderen Initiative zur Förderung der internationalen Zusammenarbeit bei der Erforschung des Wandels in einer der am stärksten bedrohten Meeresumwelten der Erde. LOMVIA und 11 weitere Forschungsprojekte versuchen, die vielfältigen Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die Ökosysteme des Arktischen Ozeans aufzuzeigen. Es ist zu hoffen, dass diese neue Initiative weitere Gemeinschaftsprojekte zur detaillierten Untersuchung von Ökosystemen fördert, die von den wachsenden klimatischen Bedrohungen in einer sich ständig verändernden Welt gefährdet sind.
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