Archäogenetische Analyse offenbart unbekannte Besiedlungswelle im Südpazifik
Eine Gruppe von Menschen verließ vor mehr als 3500 Jahren die im Südwesten des Pazifischen Ozeans gelegenen Salomoninseln und steuerte ihre Auslegerkanus auf das offene Meer hinaus. Sie und ihre Nachkommen waren die ersten, die eine Strecke von mehr als 350 Kilometern über den offenen Ozean zurücklegten und eine Region besiedelten, die heute als „fernes“ Ozeanien bezeichnet wird. Es war die letzte große Expansion der Menschheit in unbewohnte Regionen dieser Erde.
Ein internationales Forschungsteam unter Leitung der Harvard Medical School, der Universität Dublin und des Max-Planck-Instituts für Menschheitsgeschichte hat jetzt erstmals die Genome von Menschen analysiert, die vor 3100 bis 2500 Jahren auf den Inselketten Tonga und Vanuatu lebten und damit zu den ersten Bewohnern dieser Region zählen.
„Dies sind die ersten Genome frühgeschichtlicher Menschen aus den Tropen. Möglich wurde dies durch verbesserte Methoden zur Gewinnung von genetischem Material aus alten Skeletten“, sagt Ron Pinhasi von der Universität Dublin, einer der Hauptautoren der Studie. „DNA zerfällt unter tropischen Bedingungen sehr schnell, allerdings haben wir herausgefunden, dass im sehr kompakten Mittelohrknochen, dem Felsenbein, die DNA auch unter widrigen Bedingungen über Jahrtausende erhalten bleibt,“ sagt Cosimo Posth, Doktorand am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena.
Genetische Evidenz stellt etabliertes Besiedlungsmodell in Frage
Das Ergebnis der genetischen Analyse war für das Forschungsteam eine große Überraschung: Im Erbgut der frühgeschichtlichen Insulaner fanden sie praktisch keine genetischen Spuren der Menschen, die heute im nah gelegenen Papua-Neuguinea leben. Und das, obwohl alle heutigen Bewohner der Pazifischen Inselwelt genetisch zu mindestens einem Viertel von dieser Bevölkerungsgruppe, den Papua, abstammen! Stattdessen ähneln die frühen Insulaner genetisch den Menschen, die heute in China und auf Taiwan leben. Das lässt vermuten, dass die frühen Pioniere an Neuguinea vorbeizogen, ohne sich – entgegen bisheriger Annahmen – in größerem Maße mit der lokalen Bevölkerung zu vermischen.
„Die Verbreitung der Gene der indigenen Bevölkerung Neuguineas, wie wir sie heute im Pazifikraum beobachten, muss demnach durch eine bedeutende, bislang unbekannte Migrationswelle nach Ozeanien gelangt sein“, interpretiert Studienleiter David Reich von der Harvard Medical School das Ergebnis.
„Die unerwarteten Ergebnisse zur Besiedlungsgeschichte Ozeaniens unterstreichen die Aussagekraft von Analysen alter Genome für die Überprüfung etablierter Modelle zur menschlichen Geschichte“, betont Johannes Krause, Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena.
Ein besonders auffälliges Ergebnis ist die beobachtete unterschiedliche Herkunft des X-Chromosoms, das anteilhaft mehr von Frauen vererbt wird. "Es zeigt, dass die große Mehrheit der Gene der ersten Siedler, die sich heute noch im Pazifikraum befinden, von Frauen abstammt, wohingegen die Y-Chromsomen der heutigen Inselbewohner aus Papua Neuguinea stammen. Das lässt vermuten, dass die zweite große Besiedlungswelle zum Großteil aus melanesischen Männern bestand“, sagt Hauptautor Pontus Skoglund von der Harvard Medical School. „Und das zeigt zugleich, wie DNA-Analysen Einblicke in kulturelle Prozesse antiker Gesellschaften ermöglichen können.“